synchron muth

ERINNERUNGEN

Meinen ersten Theaterbesuch erlebte ich mit ca. fünf Jahren im alten Stadttheater in Würzburg, meiner Heimatstadt. Die Schauspieler von damals, als auch der Autor und Regisseur des Stückes mögen verzeihen, dass ich mich an dasselbe nicht mehr erinnere. Ich weiß nur noch eines: Es war furchtbar!! Auf der Bühne war es laut, im Zuschauerraum war es dunkel, – nein, es gab für mich überhaupt keinen Grund, jemals in meinem Leben wieder ein Theater zu betreten. Vor allem die erwähnte Dunkelheit fraß sich in mein Empfinden als grausam ein, weshalb ich auch Filmvorführungen im Kino zunächst mied. Ich hatte Angst vor dem dunklen Zuschauerraum. Doch Jahre später wich diese Angst einem Phänomen. Der Geruch von Farbe, Holz und frischem Staub eroberte meine Sinne, ich sah viele Dekorationen in großen Lagerhallen, Unmengen von Scheinwerfern und eine riesige Bühne. Das neueröffnete Stadttheater veranstaltete einen Tag der offenen Tür und dieser sollte wegweisend sein. Wer in seinen Adern Theaterblut hat, empfindet den Geruch von Leim und Schminke gleich einem Parfum edelster Art. Ich war infiziert, ohne es zu wissen. Doch war eine Tatsache zu dieser Zeit – wir befinden uns in der Mitte der 1960iger Jahre – leider unüberhörbar:

Ich konnte nicht fließend sprechen. Während meine Geschwister und Schulkameraden fröhlich vor sich hinplapperten, war für mich fast jedes Wort eine Qual, denn ich gehörte zu den Stotterern. Eine sich anbahnende Frage im Klassenzimmer löste große Angst bei mir aus. Hoffentlich muss nicht ich antworten! Natürlich ließ es sich nicht immer vermeiden, ich musste durch die „verbale Hölle“ und oft genug hörte ich um mich herum das leise, frontal treffende Gespött. Selbstverständlich klingelten bei meinen Eltern die Alarmglocken, und sie tauschten sich mit meinem Klassenlehrer aus, einem sehr verständnisvollen und sensiblen Mann. Ich wurde zwar gefordert, zugleich aber auch geschützt. Zuhause, nach den Schulaufgaben stürzte ich mich in meine „heile Welt“ – und diese offenbarte sich für meine Eltern als eine Art „göttliche Eingebung“ … Mein Berufswunsch zur damaligen Zeit war – vorübergehend – der des Pfarrers, im katholischen Würzburg aufwachsend vielleicht nicht ganz ungewöhnlich, familiär betrachtet jedoch dezent aus der Art schlagend. Kaum war die tägliche Schulpflicht erledigt, tauchte ich in die Welt der Kirche ab und spielte eben den Geistlichen. – Der sonntägliche Gang in die Kirche gehörte damals zum Pflichtprogramm. Wer vom Gemeindepfarrer während der Liturgie nicht gesehen und registriert wurde, konnte sich am drauffolgenden Montag im Religionsunterricht auf eine sehr „herzliche“ Begrüßung freuen, Ohrenkneifen und an den Haaren ziehen inklusive. – Durch die sonntägliche Pflicht konnte ich die Texte und Gebete in und auswendig und so schlüpfte ich zu Hause in meine erste Rolle, – ohne zu stottern. Zugleich machte sich immer mehr meine Theaterbesessenheit bemerkbar, und so kamen meine Eltern auf die Idee, am Stadttheater nachzufragen, ob es nicht im Ensemble jemanden gäbe, der Sprachunterricht erteilt.

Und dem war so. Mit 11 Jahren bekam ich phonetischen Unterricht, gepaart mit Atemtechnik. Ursula Knaake-Bodinus hieß meine Lehrerin, die mich gemeinsam mit Ihrem Mann Hans-Jürgen Bodinus, beide Schauspieler am Haus, unterrichteten und zugleich auch förderten, denn natürlich blieb ihnen meine Besessenheit / Talent nicht verborgen. Sie stellten mich auch sehr schnell auf die Bühne und ich spielte in diversen Weihnachtsmärchen und im Lauf der Jahre am Abend dann auch Statistenrollen. Das Stottern wurde weniger, das Selbstvertrauen wuchs und so absolvierte ich zehn Jahre später eine einzige Aufnahmeprüfung, an der berühmten Otto-Falckenberg-Schule in München.

Fortan ging es Schlag auf Schlag. Nach dem 2. Semester drehte ich meine erste Filmrolle. Und das im Ausland, sprich in Frankreich. Regie führte keine Geringere als die große Jeanne Moreau. Diese Rolle war in diesem frühen Stadium des Studiums eine große Ausnahme, die mir seitens der Schule gewährt wurde. Ab dem 4. Semester folgten die ersten großen TV-Rollen um anschließend in feste Theaterengagements zu gehen. So ab und an gab es durchaus Momente, in denen ich das Gefühl hatte, das Stottern holt mich ein. Gleich bleibe ich hängen! Doch dank der Atemtechnik konnte ich immer wieder die Gefahrenstellen umgehen und es passierte nichts. Selbst 900 Zuschauer im Saal konnten mir keine Angst einjagen, vom allgemeinen Lampenfieber mal abgesehen, ich beherrschte meine Sprache und war für jeden verständlich, – übrigens damals noch ohne Mikroport …

Dann kam der Zeitpunkt, an welchem ich mich für das freiberufliche Arbeiten entschied. Und mir schoss sofort ein Gedanke durch den Kopf. Du musst dir ein zweites Standbein aufbauen. Allein auf Gastengagements oder auf Drehtage zu warten, war mir zu riskant. Und so wagte ich den Schritt in die Filmsynchronisation. Fremde Schauspieler zu synchronisieren, mag nicht von allen Kollegen das Ziel ihres beruflichen Lebens sein. Das verstehe ich durchaus. Doch sage ich auch, dass das Synchronschauspiel eine Abteilung des Schauspiels ist. Denn der Sprecher muss sich genauso in die Rolle hineinversetzen, wie der Originalschauspieler auch. Und eines steht fest: Vor dem Mikrophon kann man nicht lügen. Gut, man arbeitet im Dunklen, man wird nicht bekannt, oder eher selten. Aber wird man Schauspieler alleine, um bekannt zu werden?? Auf der Bühne hat man den ganzen Körper als Instrument zur Verfügung, man kann wochenlang probieren und sich langsam an die Rolle herantasten. Im Synchronstudio muss man innerhalb von wenigen Augenblicken die Situationen und Emotionen erfassen und ebenso spielen wie vor Publikum oder vor der Kamera. Und es bleiben „nur“ die Stimme und deren Ausstrahlung, die den Zuschauer im Kino oder vor dem TV Gerät fesseln sollen. Da sage mir einer, dass dies kein Schauspiel ist!

Seit über vierzig Jahren arbeite ich nun als Schauspieler, Sprecher und Synchronregisseur. Und ab und an denke ich an die Momente, in denen ich Angst vor dem Sprechen hatte, Angst vor dem nicht sprechen können. Darüber muss ich heute schmunzeln und sage mir, es kam alles so, wie es kommen sollte. Übrigens ist die Sprache das wichtigste Mitteilungsinstrument, das uns Schauspielern zur Verfügung steht und es gibt sehr, sehr viele Zuschauer und Zuhörer, die sich über die Pflege dieses Instruments sehr freuen.

© Frank Muth 2021